Von Dirk Hagemann, Trade Compliance Consultant und Rechtsanwalt, Hagemann Trade Compliance Consulting (www.hagemann-tcc.eu)
Hintergrund des Urteils
In dem Urteil ging es um ein Rüstungsgeschäft im Jahr 2001, bei dem rechtswidrige Provisionszahlungen geflossen sind. Neben der Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung wurde auch gegen das Unternehmen nach § 30 OWiG eine Geldbuße festgesetzt. Der BGH hat das Verfahren in Bezug auf die Unternehmensgeldbuße an das LG München I zurückverwiesen. Für die neue Bemessung der Geldbuße hat der BGH Vorgaben gemacht, wonach effiziente Compliance-systeme zu berücksichtigen sind.
Entscheidende Aussage des BGH
Der BGH führt zur Höhe der Geldbuße gegen das beteiligte Unternehmen aus: „Für die Bemessung der Geldbuße ist zudem von Bedeutung, inwieweit [das Unternehmen seiner] Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizientes Compliancemanagement installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss […]. Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob [das Unternehmen] in der Folge des Verfahrens entsprechende Regelungen optimiert und [seine] betriebsinternen Abläufe so gestaltet hat, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden.“
Damit stellt der BGH klar, was in der Vergangenheit teilweise von Staatsanwälten bezweifelt wurde: Ein wirksames Compliancemanagementsystem (CMS) ist bei einem Verfahren gegen ein Unternehmen bußgeldmindernd zu berücksichtigen.
Insbesondere der präventive Aufbau eines effizienten CMS zahlt sich für Unternehmen aus. Überspitzt formuliert: Der BGH hat mit dem Urteil festgestellt, dass ein präventiv aufgebautes und effizientes Compliancemanagementsystem bei einem Verstoß wie eine Art „Haftpflichtversicherung“ wirkt, die den finanziellen Schaden für das Unternehmen in Grenzen halten kann.
Zwar kann auch noch die nachträgliche Verbesserung des Compliancesystems während eines Straf- oder Bußgeldverfahrens helfen. Die Verbesserung im Rahmen eines laufenden Verfahrens ist jedoch wesentlich herausfordernder und bindet die Ressourcen Personal und Zeit deutlich mehr, weil Behörden häufig Auflagen und Fristen für die Fertigstellung vorgeben.
Was der BGH mit der nachträglichen Verbesserung im Zweifel jedoch nicht belohnen wollte, ist der Aufbau eines Compliancesystems „von 0 auf 100“. Wenn ein Unternehmen vor einem Verstoß über gar keine Compliancesysteme verfügte, wirkt die nachträgliche Einführung eher nicht bußgeldmindernd. Die nachträgliche Verbesserung bezieht sich auf Lücken in einem bereits bestehenden CMS, die durch den Verstoß aufgedeckt und während des Verfahrens geschlossen werden. Die erstmalige Beschäftigung mit Compliance nach einem Verstoß, nur um die Geldbuße zu verringern, wäre weder authentisch noch integer und damit im Zweifel auch keine geeignete Grundlage für eine Bußgeldminderung.
BGH Urteil gilt auch für Trade-Compliance-Management-Systeme
Auch wenn dem Urteil ein Fehlverhalten im Steuerrecht zugrunde lag, sind die grundsätzlichen Ausführungen des BGH zu effizienten Compliancesystemen auch auf Verstöße gegen andere Vorschriften anzuwenden. Somit auch auf Verstöße gegen Außenwirtschaftsrecht, Handelsembargos, Finanzsanktionen, Exportkontrolle und Zollrecht.
Übertragen auf den internationalen Handel, müssen Unternehmen daher effiziente Trade-Compliance-Management-Systeme (TCMS) installieren. Die bußgeldmindernde Wirkung effizienter TCMS ist im Außenwirtschaftsrecht vor allem bei fahrlässig ungenehmigten Ausfuhren genehmigungspflichtiger Güter von Bedeutung. Dieser – in der Praxis regelmäßig vorkommende – Verstoß ist nicht vom Anwendungsbereich der strafbefreienden Selbstanzeige nach § 22 Abs. 4 AWG erfasst. Das heißt, dass bei einer ungenehmigten Ausfuhr in der Regel ein Bußgeld nach § 30 OWiG (oder eine Einziehung nach § 29a OWiG) gegen das Unternehmen verhängt wird.
Genau in diesem Fall kann ein effizientes TCMS einen Milderungsgrund darstellen, der die Geldbuße reduziert. Effizient heißt nicht, dass Verstöße aus dem Unternehmen zu 100% vermieden werden. Trotz effizienter Compliancesysteme kommt es in der Praxis zu Verstößen. Die Aufgaben eines effizienten Compliancesystems sind vielmehr (1.) die deutliche Reduzierung der Wahrscheinlichkeit, dass es zu Verstößen kommt, (2.) die Aufdeckung von Verstößen und (3.) die geeignete (auch arbeitsrechtliche) Reaktion auf einen Verstoß und die daraus abgeleiteten Verbesserungen des Compliancesystems.
Ob die bußgeldmindernde Wirkung eines effizienten TCMS auch bei einer Einziehung nach § 29a OWiG (früher „Verfall“) gilt, geht aus dem BGH-Urteil nicht eindeutig hervor. Der BGH hat seine Äußerungen jedoch nicht ausdrücklich auf den Ahndungsteil der Geldbuße nach § 30 OWiG beschränkt. Da sich die bußgeldmindernde Wirkung bei § 30 OWiG somit im Zweifel auch auf den Abschöpfungsteil erstreckt, müsste das Gleiche wohl auch bei § 29a OWiG gelten, der ausschließlich eine Abschöpfung vorsieht (ohne zusätzliche Ahndung).
Bestandteile eines effizienten Trade-Compliance-Management-Systems
Zu den Anforderungen an ein TCMS gehören für jedes Unternehmen mindestens:
- eine geeignete Trade-Compliance-Aufbauorganisation,
- individuelle Trade-Compliance-Prozesse, die bereichs- und abteilungsübergreifend abgestimmt und durch automatisierte Softwarelösungen unterstützt werden,
- unternehmensweit ausgerollte Handbücher und Arbeitsanweisungen für Exportkontrolle, Zoll und Außenwirtschaftsrecht.
Die Standards und Best Practices für international tätige Unternehmen und Konzerne beinhalten darüber hinaus mindestens:
- deutlich kommuniziertes Compliancebekenntnis der Geschäftsführung, dass im Unternehmen eine gesetzestreue und werteorientierte Kultur besteht und dass Verstöße gegen gesetzliche oder interne (Außenhandels-)Vorschriften nicht toleriert werden,
- klare Trade-Compliance-Aufgaben, -Rollen, -Kompetenzen, -Verantwortlichkeiten, -Kontrollen und -Kommunikationswege nach dem Three-Lines-of-Defense-Modell,
- transparente Delegations- und Eskalationsregeln,
- Notfallprozesse,
- bereichs- und abteilungsübergreifende Trade-Compliance-Komitees,
- Schulungen aller Mitarbeiter,
- Reporting,
- regelmäßiges Monitoring der Geschäftsvorfälle auf Einhaltung der gesetzlichen und internen Außenhandelsvorschriften.
Zur IT: Im besten Fall ist die Trade-Compliance-Software voll in das ERP-System integriert und bildet einen geschlossenen Workflow von Auftragseingang bis Lieferung. Auch in Ordnung ist eine gesonderte Trade-Compliance-Software, die über eine Schnittstelle mit dem ERP-System kommuniziert und sich automatisch die relevanten Güter- und Personendaten aus dem ERP für die Prüfung zieht, z.B. die Kunden- und Lieferantendaten für das Sanktionslistenscreening. Auch so ist ein automatisierter Workflow sichergestellt.
Insbesondere für international agierende mittelständische Unternehmen gilt jedoch: Im Zweifel nicht mehr ausreichend sind Softwarelösungen, die rein manuell genutzt werden, ohne automatische Schnittstelle zum ERP-System. Beispiel hierfür kann das manuelle Sanktionslistenscreening auf den frei zugänglichen Screeningwebsites der EU, der deutschen Justizverwaltung oder der US-Behörde OFAC sein. Bei diesem Verfahren werden z.B. die Kunden- und Lieferantendaten lediglich manuell durch Copy & Paste gegen die Sanktionslisten geprüft. Käme es hier zu einem Verstoß, würde ein solches manuelles Screening wohl nicht mehr als effizient im Sinne des BGH-Urteils gelten.
Resümee
Unternehmen, die noch über gar kein Trade-Compliance-Management System (TCMS) verfügen, sollten die elementaren Grundlagen implementieren. Unternehmen, die bereits über die TCMS-Grundlagen verfügen, sollten ihr TCMS weiter verbessern. Und Unternehmen, die schon über ein umfassendes und effizientes TCMS verfügen, sollten mit der Transformation hin zu einer integren Organisation beginnen. Der BGH hat mit seinem Urteil bestätigt: Es lohnt sich.
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