BGH: Compliance Systeme zahlen sich aus
BGH bestätigt erstmalig: Effiziente Compliance Systeme zahlen sich aus
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Mai 2017 (Urteil 1 StR 265/16) bestätigt, dass effiziente Compliance Management Systeme im Rahmen eines Bußgeldverfahrens gegen ein Unternehmen positiv zu bewerten sind. Neu ist die deutliche Aussage, dass ein effizientes Compliance System die Geldbuße unmittelbar reduzieren kann.
Hintergrund des Urteils
In dem Urteil ging es um ein Rüstungsgeschäft im Jahr 2001, bei dem rechtswidrige Provisionszahlungen geflossen sind. Neben der Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung, wurde auch gegen das Unternehmen nach § 30 OWiG eine Geldbuße festgesetzt. Der BGH hat das Verfahren in Bezug auf die Unternehmensgeldbuße an das LG München I zurückverwiesen. Für die neue Bemessung der Geldbuße hat der BGH Vorgaben gemacht, wonach effiziente Compliance Systeme zu berücksichtigen sind.
Entscheidende Aussage des BGH
Der BGH führt zur Höhe der Geldbuße gegen das beteiligte Unternehmen aus:
„Für die Bemessung der Geldbuße ist zudem von Bedeutung, inwieweit [das Unternehmen seiner] Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizientes Compliance-Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss […]. Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob [das Unternehmen] in der Folge des Verfahrens entsprechende Regelungen optimiert und [seine] betriebsinternen Abläufe so gestaltet hat, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden.“
Damit stellt der BGH klar, was in der Vergangenheit teilweise von Staatsanwälten bezweifelt wurde: Ein wirksames Compliance Management System (CMS) ist bei einem Verfahren gegen ein Unternehmen bußgeldmindernd zu berücksichtigen.
Insbesondere der präventive Aufbau eines effizienten CMS zahlt sich für Unternehmen aus. Überspitzt formuliert: Der BGH hat mit dem Urteil festgestellt, dass ein präventiv aufgebautes und effizientes Compliance Management System bei einem Verstoß wie eine Art „Haftpflichtversicherung“ wirkt, die den finanziellen Schaden für das Unternehmen in Grenzen halten kann.
Zwar kann auch noch die nachträgliche Verbesserung des Compliance Systems während eines Straf- oder Bußgeldverfahrens helfen. Die Verbesserung im Rahmen eines laufenden Verfahrens ist jedoch wesentlich herausfordernder und bindet die Ressourcen Personal und Zeit deutlich mehr, weil Behörden häufig Auflagen und Fristen für die Fertigstellung vorgeben.
Was der BGH mit der nachträglichen Verbesserung im Zweifel jedoch nicht belohnen wollte, ist der Aufbau eines Compliance Systems „von null auf hundert“. Wenn ein Unternehmen vor einem Verstoß über gar keine Compliance Systeme verfügte, wirkt die nachträgliche Verbesserung eher nicht bußgeldmindernd. Die nachträgliche Verbesserung bezieht sich auf Lücken in einem bereits bestehenden CMS, die durch den Verstoß aufgedeckt und während des Verfahrens geschlossen werden. Die erstmalige Beschäftigung mit Compliance nach einem Verstoß, nur um die Geldbuße zu verringern, wäre weder authentisch noch integer und damit im Zweifel auch keine geeignete Grundlage für eine Bußgeldminderung.
Exkurs: Integres Unternehmen als Compliance Ziel
Seit einigen Jahren wurden und werden in Unternehmen formell gute CMS aufgebaut, die viele Vorteile mit sich bringen. Stellenweise hat sich jedoch eine gewisse Ernüchterung eingestellt, weil die schriftliche Compliance Kultur in den Codes of Conduct, Handbüchern, Arbeitsanweisungen und Policies teilweise nicht der gelebten Compliance Kultur entspricht. Die Transformation der gelebten Compliance Kultur hin zu der Compliance Kultur wie sie schriftlich in den Unternehmen verankert ist, wird das Compliance Ziel der nächsten Jahre. Diese Transformation wird unter dem Begriff der Integrität diskutiert und ist insbesondere ein Thema der unternehmensweiten Compliance Schulungen und Kommunikation. Eine integre Organisation lebt die schriftlich verankerten Unternehmenswerte und Compliance Standards. Nicht weil die Werte und Standards von oben disziplinarisch angewiesen bzw. ausgerollt werden, sondern weil sie dem persönlichen Werte- und Complianceverständnis der einzelnen Mitarbeiter entsprechen.
BGH Urteil gilt auch für Trade Compliance Management Systeme
Auch wenn dem Urteil ein Fehlverhalten im Steuerrecht zugrunde lag, sind die grundsätzlichen Ausführungen des BGH zu effizienten Compliance Systemen auch auf Verstöße gegen andere Vorschriften anzuwenden. Somit auch auf Verstöße gegen Außenwirtschaftsrecht, Handelsembargos, Finanzsanktionen, Exportkontrolle und Zollrecht.
Übertragen auf den internationalen Handel, müssen Unternehmen daher effiziente Trade Compliance Management Systeme (TCMS) installieren. Die bußgeldmindernde Wirkung effizienter TCMS ist im Außenwirtschaftsrecht vor allem bei fahrlässig ungenehmigten Ausfuhren genehmigungspflichtiger Güter von Bedeutung. Dieser - in der Praxis regelmäßig vorkommende - Verstoß ist nicht vom Anwendungsbereich der strafbefreienden Selbstanzeige nach § 22 Abs. 4 AWG erfasst. Das heißt, dass bei einer ungenehmigten Ausfuhr in der Regel ein Bußgeld nach § 30 OWiG (oder eine Einziehung nach § 29a OWiG) gegen das Unternehmen verhängt wird.
Genau in diesem Fall kann ein effizientes TCMS einen Milderungsgrund darstellen, der die Geldbuße reduziert. Effizient heißt nicht, dass Verstöße aus dem Unternehmen zu 100% vermieden werden. Trotz effizienter Compliance Systeme kommt es in der Praxis zu Verstößen. Die Aufgabe eines effizienten Compliance Systems ist vielmehr (1.) die deutliche Reduzierung der Wahrscheinlichkeit, dass es zu Verstößen kommt, (2.) die Aufdeckung von Verstößen und (3.) die geeignete (auch arbeitsrechtliche) Reaktion auf einen Verstoß und die daraus abgeleiteten Verbesserungen des Compliance Systems.
Ob die bußgeldmindernde Wirkung eines effizienten TCMS auch bei einer Einziehung nach § 29a OWiG (früher „Verfall“) gilt, geht aus dem BGH Urteil nicht eindeutig hervor. Der BGH hat seine Äußerungen jedoch nicht ausdrücklich auf den Ahndungsteil der Geldbuße nach § 30 OWiG beschränkt. Da sich die bußgeldmindernde Wirkung bei § 30 OWiG somit im Zweifel auch auf den Abschöpfungsteil erstreckt, müsste das gleiche wohl auch bei § 29a OWiG gelten, der ausschließlich eine Abschöpfung vorsieht (ohne zusätzliche Ahndung).
Bestandteile eines effizienten Trade Compliance Management Systems
Zu den Anforderungen an ein TCMS gehören für jedes Unternehmen mindestens:
- Eine geeignete Trade Compliance Aufbauorganisation
- Individuelle Trade Compliance Prozesse, die bereichs- und abteilungsübergreifend abgestimmt und durch automatisierte Softwarelösungen unterstützt werden
- Unternehmensweit ausgerollte Handbücher und Arbeitsanweisungen für Exportkontrolle, Zoll und Außenwirtschaftsrecht
Die Standards und Best Practices für international tätige Unternehmen und Konzerne beinhalten darüber hinaus mindestens:
- Deutlich kommuniziertes Compliance-Bekenntnis der Geschäftsführung, dass im Unternehmen eine gesetzestreue und werteorientierte Kultur besteht. Und dass Verstöße gegen gesetzliche oder interne (Außenhandels-)Vorschriften nicht toleriert werden.
- Klare Trade Compliance Aufgaben, Rollen, Kompetenzen, Verantwortlichkeiten, Kontrollen und Kommunikationswege nach dem Three-Lines-of-Defense-Modell
- Transparente Delegations- und Eskalationsregeln
- Notfall-Prozesse
- Bereichs- und abteilungsübergreifende Trade Compliance Komitees
- Schulungen aller Mitarbeiter
- Reporting
- Regelmäßiges Monitoring der Geschäftsvorfälle auf Einhaltung der gesetzlichen und internen Außenhandelsvorschriften
Zur IT: Im besten Fall ist die Trade Compliance Software voll in das ERP-System integriert und bildet einen geschlossenen Workflow von Auftragseingang bis Lieferung. Auch in Ordnung ist eine gesonderte Trade Compliance Software, die über eine Schnittstelle mit dem ERP-System kommuniziert und sich automatisch die relevanten Güter- und Personendaten aus dem ERP für die Prüfung zieht, z.B. die Kunden- und Lieferantendaten für das Sanktionslisten-Screening. Auch so ist ein automatisierter Workflow sichergestellt.
Insbesondere für international agierende mittelständische Unternehmen gilt jedoch: Im Zweifel nicht mehr ausreichend sind Softwarelösungen, die rein manuell genutzt werden, ohne automatische Schnittstelle zum ERP-System. Beispiel hierfür kann das manuelle Sanktionslisten-Screening auf den frei zugänglichen Screening Webseiten der EU, der deutschen Justizverwaltung oder der U.S. Behörde OFAC sein. Bei diesem Verfahren werden z.B. die Kunden- und Lieferantendaten lediglich manuell durch copy & paste gegen die Sanktionslisten geprüft. Käme es hier zu einem Verstoß, würde ein solches manuelle Screening wohl nicht mehr als effizient im Sinne des BGH Urteils gelten.
Resümee
Unternehmen, die noch über gar kein Trade Compliance Management System (TCMS) verfügen, sollten die elementaren Grundlagen implementieren. Unternehmen, die bereits über die TCMS Grundlagen verfügen, sollten ihr TCMS weiter verbessern. Und Unternehmen, die schon über ein umfassendes und effizientes TCMS verfügen, sollten mit der Transformation hin zu einer integren Organisation beginnen. Der BGH hat mit seinem Urteil bestätigt: Es lohnt sich.